Wissen in der und Wissen durch die Bildungs- und Sozialberichterstattung

 

Projektleitung: Prof.‘in Dr. Tanja Betz

Studentische Mitarbeiter:innen: Chiara Bax, Thomas Bree

Laufzeit: 2024-2027

 

Monitoring- und Berichterstattungsaktivitäten sind seit Jahrzehnten integraler Bestandteil der informationellen Infrastruktur im Bereich Bildung und Soziales (Betz 2018; Noll 2018). Dabei haben sich Bildungspolitik auf der einen sowie die Kinder- und Jugendpolitik auf der anderen Seite spätestens im Laufe des 20. Jahrhunderts in zwei eigenständige Politikfelder ausdifferenziert, die sich relativ unabhängig voneinander entwickeln (Betz & Rauschenbach 2009). Dies manifestiert sich in ihrer je spezifischen informationellen Infrastruktur, die in sich wiederum sehr heterogen ist.

So ist in Deutschland die Lage junger Menschen sowie die Bestrebungen und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe seit 1965 kontinuierlich Gegenstand der Sozialberichterstattung in Form der gesetzlich verankerten regelmäßig vorzulegenden Kinder- und Jugendberichte. Sie beinhalten neben einer Bestandsaufnahme und Analyse, normative Zielsetzungen und zugleich Vorschläge, wie die Kinder- und Jugendhilfe weiterzuentwickeln ist. Darüber hinaus lässt sich, großteils unter dem Radar der wissenschaftlichen Fachdiskussion, in einigen Bundesländern bisweilen seit Jahr(zehnt)en eine entsprechende, sehr heterogene Kinder- und Jugendberichterstattung auffinden (Lück-Filsinger 2006; Lüders 2020).

Auch im Bereich Bildung hat sich, wenngleich Jahrzehnte später, eine eigenständige Berichterstattung seit den 2000er-Jahren entwickelt (Konsortium Bildungsberichterstattung 2005). Im Nationalen Bildungsbericht wird als Dauerbeobachtung das Bildungssystem von der frühen Bildung bis zur Weiterbildung im Erwachsenenalter indikatorenbasiert dokumentiert. Auch unterhalb der nationalen Ebene in den Ländern und Kommunen sowie bei den Kirchen hat sich eine rege und sehr heterogene Berichterstattung etabliert (u.a. Betz 2025 i. Dr.; Brüggemann 2021).

Die Berichte können mal stärker, mal weniger stark als Formen der Politikberatung verstanden werden (Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe 2002); zugleich sind sie zwischen Politik, pädagogischen Handlungsfeldern, Öffentlichkeit und Wissenschaft zu verorten.

Ein politikfeldübergreifendes Kennzeichen der Berichterstattung ist ihre mehrheitlich starke Wissenschaftsbasierung (Krüger, Rauschenbach & Sander 2007; Klieme et al. 2007). Wissenschaftliche Expert:innengruppen verfassen die Berichte und schreiben begleitende Expertisen oder sind in Anhörungen und Beratungsprozesse eingebunden. (Erziehungs-)Wissenschaftliches Wissen und eine entsprechende Textform sowie je nach Bericht eine empirische, vielfach indikatorenbasierte Ausrichtung sind typische Merkmale und auch der breite Adressat:innenkreis bezieht die Wissenschaft mit ein. Umso mehr erstaunt es, dass es nach wie vor keine stärkere fachliche Auseinandersetzung mit der Sozial- und Bildungsberichterstattung gibt (Ausnahmen: u.a. Betz 2008; Krüger, Rauschenbach & Sander 2007; Bormann, Hartong & Höhne 2018).

Im Projekt werden die Kinder- und Jugendberichte auf Ebene von Bund und Ländern als spezifische Orte der Wissensproduktion genauer bestimmt und ein Beitrag für eine reflexive Auseinandersetzung mit den Berichterstattungsaktivitäten in der Sozialberichterstattung über Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene (Betz 2008) sowie in der Bildungsberichterstattung v.a. im Bereich frühe Bildung, Betreuung und Erziehung (Betz 2025 i. Dr.) sowie Schule erarbeitet.

 

Projekt- und Forschungsdesign

  • Im Projekt wird eine digitale Materialbasis zu den Kinder- und Jugendberichten auf Ebene von Bund und Ländern in Deutschland seit ihren Anfängen als Grundlage für weiterführende Analysen erstellt.
  • Es wird eine Heuristik erarbeitet, die es erlaubt (vergleichende) Analysen der Berichte im Rahmen der Sozialberichterstattung vorzunehmen.
  • Es werden wissenssoziologisch und kindheitstheoretisch fundierte Analysen zu den Berichten und zum politikfeldbezogenen Berichtswesen durchgeführt, die Antworten auf die folgenden Leitfragen geben sollen: Wer produziert das Wissen in den Berichten und wie wird es produziert? Über wen oder was wird Wissen produziert? Welche Bedeutung kommt hierbei dem Wissen um und von Kindern und Jugendlichen zu? Welche Relevanz haben soziale Ungleichheiten/Heterogenitätsmerkmale sowie gesellschaftliche und institutionelle Problemlagen/Krisen in den Berichten?

 

Fachvorträge (Auswahl)

Tanja Betz: Policy advice for child and youth policy – for, with or by young people? “Childhood and Communities”. The X Conference on Childhood Studies, University of Helsinki, 15.-17.05.2024.

Tanja Betz: Das Wissen in der (partizipativen) Politikberatung zu Kindheit und Jugend, DGS-Jahrestagung „Kindheitsforschung und ihre Öffentlichkeiten, Leuphana Universität Lüneburg, 18.-20.04.2024.

Tanja Betz: Wissen für und Wissen durch die Kinder- und Jugendberichterstattung auf Ebene der Länder, 29. DGfE-Kongress „Krisen und Transformationen“, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, 12.03.2024.

 

Fachpublikationen (Auswahl)

Betz, T. (2025 im Druck). Heterogenität in der frühen Bildung, Betreuung und Erziehung. Potenziale und Desiderate der Bildungsberichterstattung über Tageseinrichtungen für Kinder. In T. Böhme, J. Dechow & A. Sander (Hrsg.). Die Zukunft evangelischer Kitas gestalten. Einsichten und Impulse im Dialog mit dem aktuellen Bildungsbericht "Evangelische Tageseinrichtungen für Kinder". Waxmann.

 

Literatur

Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe (2002). Berichterstattung als Politikberatung. Entwicklungen und Wirkungen der Jugendberichte in Deutschland. AGJ.

Betz, T. (2008). Ungleiche Kindheiten. Theoretische und empirische Analysen zur Sozialberichterstattung über Kinder (Reihe: Kindheiten – Neue Folge). Juventa.

Betz, T. (2018). Child Well-Being. Konstruktionen ‚guter Kindheit‘ in der (inter-)nationalen indikatorengestützten Sozialberichterstattung über Kinder. In T. Betz, S. Bollig, M. Joos & S. Neumann (Hrsg.), Gute Kindheit. Wohlbefinden, Kindeswohl und Ungleichheit (S. 49–69). Beltz Juventa.

Betz, T. & Rauschenbach, T. (2009). Bildungs- und Jugendpolitik. In A. Gawrich, W. Knelangen & J. Windwehr (Hrsg.), Sozialer Staat – soziale Gesellschaft? Stand und Perspektiven deutscher und europäischer Wohlfahrtsstaatlichkeit (S. 169–187). Barbara Budrich.

Bormann, I., Hartong, S. & Höhne, T. (2018). Bildung unter Beobachtung. Kritische Perspektiven auf Bildungsberichterstattung. Beltz Juventa.

Brüggemann, C. (2021). Datenbasiertes Bildungsmanagement als Steuerungsversprechen der Regionalisierungspolitik im Bildungswesen. Zeitschrift für Pädagogik, 67(3), 338–352.

Klieme, E., Avenarius, H., Baethge, M., Döbert, H., Hetmeier, H.-W., Meister-Scheufelen, G., Rauschenbach, R. & Wolter, A. (2007). Grundkonzeption der Bildungsberichterstattung für Deutschland. In H.-H. Krüger, T. Rauschenbach & U. Sander (Hrsg.), Bildungs- und Sozialberichterstattung (S. 129–145). VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Krüger, H.-H., Rauschenbach, T., Sander, U. (Hrsg.) (2007). Bildungs- und Sozialberichterstattung. VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Lück-Filsinger, M. (2006). Kinder- und Jugendberichterstattung in den Bundesländern. Eine qualitativ-empirische Studie. One Vision Design.

Lüders, C. (2020). Kinder- und Jugendberichterstattung. In P. Bollweg, J. Buchna, T. Coelen & H.-U. Otto (Hrsg.), Handbuch Ganztagsbildung (2. Aufl.) (S. 1599–1613). Springer VS.

Noll, H.-H. (2018). Social Monitoring and Reporting: A Success Story in Applied Research on Social Indicators and Quality of Life. Social Indicators Research, 135(3), 951–964.