Zwischen Posteurozentrismus und neuen Systemkonflikten.
Was soll eine Geschichte Europas ‚nach den Römern‘ leisten?
Die Karriere des Leitwortes dieser Ringvorlesung – ›Postkolonialismus‹ – ist inzwischen rund 30 Jahre alt und Teil eines Bündels neuer Konzeptwörter, die sich nach dem Ende des Kalten Krieges in den historischen Wissenschaften durchgesetzt haben und gegenwärtig die Neuordnung des historischen Materials und der historischen Darstellungen steuern. Wie ist (Latein)Europa neu zu denken, wenn es vom ›stillschweigenden Maßstab historischen Wissens‹ zu einer ›Weltprovinz‹ umgedeutet wird? Wer ›Europa als Weltprovinz‹ in den Kanon der Schulbücher bringen will, wird die großen Zäsuren sicher nicht mehr in ›barbarischen Invasionen‹ und ›Germanenreichen‹ sehen, auch nicht mehr in einer innerkirchlichen Spaltung im 16. Jahrhundert. Denn es kann nicht mehr um die Ursprünge eines ›Volkes‹, nicht mehr um die Ursprünge des autonomen Subjektes und auch nicht mehr um Säkularisierungs- oder Fortschrittsgeschichten gehen. Worum aber stattdessen?
Zur Person:
Bernhard Jussen ist Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Goethe-Universität Frankfurt.
2007 erhielt er den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Seine Forschungsschwerpunkte liegen u.a. auf Verwandtschaften in der so genannten Vormoderne sowie auf der bildlichen Formierung historischen Denkens in der so genannten Moderne.